Gewaltfreie Kommunikation
Britta Scharfenberger 31.10.2020 Denkanstoß, Werkzeugkasten
Gespräche mit einer tiefen Verbindung zum Gegenüber sind rar: Unterhaltungen, bei denen man nicht schon während der oder die Andere spricht über die eigene Antwort nachdenkt. Schlagabtausche, die nicht in Vorwürfe abgleiten. Kein „wie geht’s dir?“ - „gut“, sondern ein ehrlicher Austausch über Emotionen und Bedürfnisse. Diesen Umstand zu ändern ist Ziel der gewaltfreien Kommunikation.
Foto: Paola Cermak
Gründen ist schwierig, Gründen mit dem Partner oder der Partnerin noch schwieriger. Meistens gibt es schon eingefahrene Kommunikationsmuster: Interpretationsspielräume werden automatisch mit Annahmen gefüllt, was in Kombination mit oberflächlichem Zuhören zu ineffektiven und energieraubenden Schleifen führt. Bei uns lag der Fall nicht anders und wir machten uns auf die Suche nach einer Lösung, um leichter und verletzungsfreier miteinander zu sprechen. Dabei sind wir auf die gewaltfreie Kommunikation gestoßen, kurz GFK.
Die GFK ist keine neue Erfindung. Entwickelt wurde diese Kommunikationsform von dem Psychologen Dr. Marshall Rosenberg, der 1984 in den USA das Center for Nonviolent Communication gründete. Seitdem hat die GFK große Verbreitung gefunden. Rosenbergs Methode wurde in zahlreichen Krisengebieten angewendet und viele Psycholog*innen und Trainer*innen beziehen sich auf die GFK. Einen neuen Bekanntheitsschub bekam die Kommunikationsform jedoch durch die Startup-Szene. Agile Zusammenarbeit steht und fällt nämlich mit guter, klarer Kommunikation. Viele Gründer*innen mussten feststellen, dass in ihren Teams an dieser Stelle noch Nachholbedarf bestand und holten sich Trainer*innen für GFK ins Haus.
Was genau ist denn nun GFK? Sie ist eine Haltung, die auf Aufrichtigkeit und Empathie basiert. Ich spreche über meine Perspektive, wie ich mich fühle und was ich brauche. Und im Gegenzug höre ich bei meinem Gegenüber genau hin, wie dort die Gefühlslage ist und was es braucht. Das Ziel ist, eine Verbindung herzustellen und wirklich zu verstehen. Diese Kommunikationsart basiert auf zwei Grundannahmen:
Alles was Menschen tun, tun sie, um sich Bedürfnisse zu erfüllen.
Menschen tragen gerne dazu bei das Leben Anderer schöner zu machen – wenn sie mit ihren eigenen Bedürfnissen gehört, verstanden und ernst genommen werden.
In der Praxis folgt man dabei einem einfachen Ablaufplan:
Beobachten und das Beobachtete kommunizieren.
Die eigenen Gefühle im Zusammenhang mit der Beobachtung beschreiben.
Das damit verbundene Bedürfnis ausdrücken.
Eine Bitte an das Gegenüber formulieren.
So könnte ein fiktiver GFK-Ablauf aussehen: „Ich sehe mehrere Kleidungsstücke auf dem Boden liegen. Ich bin ärgerlich, weil mein Bedürfnis nach Ordnung nicht erfüllt ist. Kannst du bitte die Kleider in den Wäschekorb legen.“ Gut, im ersten Moment wirkt das kontraintuitiv. Meistens entscheidet man sich doch eher für den Satz „Hier ist schon wieder alles dreckig, kannst du nicht endlich mal aufräumen!“. Doch damit entscheidet man sich leider auch für unterschwellige Vorwürfe und gegen klare Bedürfniskommunikation. Und beim Gegenüber bleiben viele Fragenzeichen ob des plötzlichen Ausbruchs.
Das klingt im ersten Moment alles sehr logisch und nachvollziehbar. Aber wieso sprechen wir dann nicht im Alltag so miteinander? Vor allem das Erkennen von Bedürfnissen und die präzise Benennung von Gefühlen sind für die meisten Erwachsenen sehr schwierig. Was wir im Kindesalter ganz selbstverständlich praktizieren, wird uns in Kindergarten, Schule und schließlich Arbeitsumgebung sukzessive abtrainiert. Gefühle sind dort oft störend für den Ablauf und wer sie nicht gut „unter Kontrolle hat“, also in den Hintergrund drängt, wird im sozialen Gefüge unangenehm auffallen.
Foto: Britta Scharfenberger
Spätestens mit Schuleintritt entspricht unsere Alltagsumgebung nicht wirklich unseren Bedürfnissen: wer erinnert sich nicht an frühe Morgenstunden mit ungeliebten Fächern? Wir lernen also unsere Bedürfnisse Schritt für Schritt zu ignorieren und generell weniger auf sie zu achten. Stattdessen werden wir darauf konditioniert, schnell Bewertungen vorzunehmen und Sachverhalte in Kategorien einzuteilen. Das Ergebnis ist eine oft wertende und verurteilende Sprache.
Diese jahrelang praktizierten Muster machen auch das Erlernen der gewaltfreien Kommunikation nicht einfach. Sie sind tiefe Trampelpfade auf denen wir durch den Alltag trotten und auf die wir in Stresssituationen ausweichen. Nur Übung lässt die GFK im Alltagssprechen ankommen. Wir haben uns deswegen im Sommer 2019 für ein GFK-Einführungsseminar mit Matthias Faust in Fürth entschieden. Es richtete sich an Einzelpersonen, Familien und Paare, die sich ehrlich, klar und respektvoll ausrücken wollen und wenig bis keine Vorkenntnisse in der GFK hatten.
Wir waren in der Gesellschaft von Eltern, die sich besser mit ihren Teenager*innen austauschen mochten, Student*innen aus sozialen Bereichen, die ihren Gruppen eine neue Art der Kommunikation an die Hand geben wollten und natürlich auch Paaren, die es leid waren sich misszuverstehen. Und wir haben zwei Tage lang in verschiedensten Konstellationen miteinander gesprochen und geübt.
Dabei sind alle Kursteilnehmer*innen natürlich etliche Male gestrauchelt. Es gibt bei der GFK nämlich einige Fallstricke.
1. Beobachtungen äußern. Beobachtungen sollen konkret sein und keine Unterstellungen beinhalten. Am besten, man bezieht sich auf das, was man direkt sieht oder hört. Wichtig ist, nur eine Situation herauszugreifen und nicht zu verallgemeinern. Statt also zu sagen „hier wurde schon wieder nicht aufgeräumt!“, was eine Verallgemeinerung und eine Unterstellung wäre, ist „ich sehe, dass Kleidungsstücke auf dem Boden liegen“ die treffendere Variante.
2. Unterscheidung von Gefühlen und Pseudogefühlen. Pseudogefühle beinhalten eine Interpretation oder ein Werturteil. Sie beziehen sich auf ein Gegenüber und werden sehr gerne im Streit verwendet. Beispiele sind „reingelegt“, „zurückgewiesen“ oder auch „gehört“ und „gesehen“. Diese Worte treffen Annahmen über die Gefühlslage des Gegenübers, die wir gar nicht sicher kennen können. Echte Gefühle beziehen sich nur auf einen selbst, z. B. „traurig“, „entspannt“ oder „gereizt“. Wir haben noch den Tipp bekommen, dass echte Gefühle meist pantomimisch dargestellt werden können, Pseudogefühle jedoch nicht.
Foto: Britta Scharfenberger
3. Bedürfnisse erkennen. Das ist wohl der schwierigste Teil der GFK. Bedürfnisse sind universell, d. h. alle Menschen haben prinzipiell das gleiche Set an Bedürfnissen, beispielsweise Respekt, Wertschätzung, Ruhe oder Ehrlichkeit. Wir machen uns unsere Bedürfnisse im Alltag jedoch nur selten bewusst. Es ist z. B. leicht zu merken, dass Wut ein einem hochsteigt. Meistens machen wir uns jedoch nicht die Mühe, das dahinter liegende, unbefriedigte Bedürfnis zu identifizieren. Wenn also die innere Gefühlslage klar ist, kann das zugehörige Bedürfnis mit „Fühle ich mich …, weil mir … wichtig ist?“ abgeprüft werden. Resoniert das Bedürfnis mit dem aktuellen Gefühl, fühlt es sich also „richtig“ in diesem Zusammenhang an, kann man es kommunizieren. Ein etwas rationalerer Ansatz ist über eine äußere Bewertung zu kommen. Wenn ich genervt bin, weil ich etwas für sehr respektlos halte, ist meinem Bedürfnis nach gegenseitigem Respekt offenbar nicht nachgekommen worden.
4. Bitten formulieren. Eine Bitte ist eine Einladung, meine Bedürfnisse zu erfüllen. Das Gegenüber kann ablehnen, wenn z. B. dadurch seine oder ihre eigenen Bedürfnisse zu kurz kommen. Bitten sind also keinerlei Zwang und lassen Wahlfreiheit. Wichtig ist auch, dass sie positiv und konkret formuliert werden. Wenn ich nämlich darum bitte, etwas nicht zu tun, hat das Gegenüber keine Ahnung, was es stattdessen tun sollte. Statt also zu sagen „räum auf!“ (unkonkret) oder „lass nicht immer alles herumliegen“ (negativ), hilft es eher auf die Formulierung „kannst du bitte die schmutzige Kleidung in den Wäschekorb legen?“ zurückzugreifen, da sie konkret und positiv ist. Hilfreich ist es auch mit einem „passt das für dich?“ zu enden und die Wahlfreiheit zu signalisieren.
GFK öffnet den Blick für das Gegenüber. Indem man in der Kommunikation bei sich bleibt und keine Annahmen über Motive und Gefühlslage des/der Gesprächsteilnehmer*in trifft, ergibt sich die Möglichkeit, wirklich zuzuhören. Aktives, empathische Zuhören ist ebenfalls ein wichtiger Teil von GFK und – Überraschung – auch dieser Aspekt wird in der Alltagskommunikation meist sehr vernachlässigt. Beim kleinsten Anlass gehen wir mit Lösungsansätzen, Nachfragen oder Analysen dazwischen. Oder wir schwenken den Fokus und erzählen einfach von uns selbst und ähnlichen Situationen, die wir erlebt haben.
Foto: Britta Scharfenberger
Um ganz beim Gegenüber zu bleiben und nicht im Gespräch auf die eigenen Beiträge zu fokussieren, haben wir uns auch in Dyaden ausgetauscht: Eine*r spricht 3 Minuten lang, das Gegenüber hört nur aktiv und empathisch zu – keine verbalen Äußerungen, kein „achja“ oder „soso“. Anschließend werden die Rollen getauscht. In einer Variation der Dyade hat das Gegenüber nach 2-3 Sätzen das Gehörte nochmals zusammengefasst, um zu spiegeln, welche Botschaften ankamen. Der/die Zuhörer*in versuchte dabei zu verstehen, was das Gegenüber wirklich bewegt und welche Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmbar waren.
Die ersten Versuche im Kurs waren holprig und haben sich gar nicht intuitiv angefühlt. Alle Teilnehmer*innen haben auf ihre Spickkärtchen mit Gefühlen und Bedürfnissen gelinst und zwischen den Sätzen nachgedacht. Anfangs sind wir die Stationen Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte physisch abgelaufen, dafür lagen Zettel auf dem Boden. Doch irgendwann wurde es leichter. Die Gesprächsthemen wurden tiefgründiger, die Gefühle ehrlicher, irgendwann wurden sogar schwierige Konflikte besprochen.
Unsere Gruppe war großartig, wirklich lernwillig und radikal offen. Das war aber auch nur möglich, weil Matthias Faust einen Safe Space für uns geschaffen hat und es unter allen die Übereinkunft gab, dass keine Probleme, die im Vertrauen besprochen wurden, den Raum verlassen. Ich persönlich ging nach dem Kurs mit dem Gefühl nach Hause, GFK verstanden zu haben, und ich hatte einen Ausblick darauf bekommen, wie offene, empathische Kommunikation auch im Alltagsstress aussehen könnte.
Um GFK zu verinnerlichen, muss man dranbleiben. Das heißt eigentlich, sich in seiner Heimatstadt eine Übungsgruppe suchen und regelmäßig mit dieser Situationen durchspielen. Da es bei uns in der Gegend jedoch keine Übungsgruppenangebote gab, haben wir einfach zu zweit weiter gemacht. Oft hieß das, im Nachgang zu überlegen, wie die Situation mit GFK besser gelaufen wäre. Im Eifer des Gefechts sind wir doch häufig die ausgetretenen Kommunikationspfade entlang getrottet. Aber auch wenn wir „nur“ hinterher die Gespräche unter GFK-Aspekten reflektiert hatten, trug das sehr zu klarer Kommunikation bei, weil wir wenigstens im nächsten Gespräch nicht auf Missverständnissen aufgebaut haben, sondern unsere Bedürfnisse kannten.
Foto: Paola Cermak
Für mich war das letzte Jahr mit GFK eine positive Erfahrung und ich habe das Gefühl, mehr zu verstehen und besser verstanden zu werden. Mir ist mittlerweile bewusst, dass es Gesagtes nie zu 100% sauber und effektiv von Sender zu Empfänger schafft. Da Konflikte jedoch meistens Ausdruck unbefriedigter Bedürfnisse sind, achte ich jetzt mehr auf diese, bleibe in Diskussionen mehr bei mir und versuche weniger zu projizieren und zu interpretieren. Sicherlich werde ich auch in Zukunft noch ab und an auf mein Spickkärtchen mit den Gefühlen und Bedürfnissen linsen. Ich bleibe aber auf jeden Fall dran und freue mich auf Gespräche abseits der ausgetretenen Pfade.
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