Hof Prädikow
Britta Scharfenberger Christoph Schmitt, Britta Scharfenberger 05.06.2020 Digitale Rebellen, Denkanstoß
Was wäre, wenn... man sein Lebens- und Arbeitsumfeld frei gestalten und in einer Gemeinschaft von Grund auf entwickeln könnte? Das brachliegende Hofgut Prädikow in Brandenburg lädt zum Träumen ein. Und eine Wohninitiative stellt sich der Herausforderung.
Pferdestall
Die Autos der Besucher*innen stehen verstreut auf einer stoppeligen Wiese und feiern ihre eigene Party. Wir mogeln uns irgendwo zwischen die kreativ geparkten Fahrzeuge. Es ist ein schöner, sonniger Spätsommernachmittag im September 2019, an dem uns die Neugier nach Prädikow getrieben hat. In diesem kleinen Ort, 50 km östlich von Berlin, steht einer der größten Vier-Seiten-Höfe Brandenburgs mit ca. 8 ha Land. Und eine Gruppe Berliner*innen hat Großes mit ihm vor.
Erste Hinweise darauf entdecken die Besucher*innen schnell: Am Eingang des Hofs steht neben einem etwas anlehnungsbedürftigen Torbogen die große Bautafel, die eine grobe Übersicht über das Gewirr aus Gebäuden gibt. Pächter, Bauherr, Grundstückseigentümer und Architekt werden genannt – komplizierte Pläne brauchen viele Mitwirkende.
Bautafel am Eingang
Blick aus dem Pferdestall
Beim Betreten des Hofs beeindruckt dessen schiere Größe. 15 großzügige Gebäude umstehen einen riesigen Innenhof, der sich über 3 ha erstreckt. Kein Vergleich zu den verwinkelten Vier-Kanten-Höfen im Familienbesitz, die ich aus Süddeutschland kenne. Früher gab es hier eine Schmiede, eine Brennerei, eine Bäckerei, ein Sägewerk, große Scheunen und viele Ställe. Die Bausubstanz stammt Größtenteils aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Seine letzte Hochphase hatte der Hof zu DDR-Zeiten, seit der Wende liegt er jedoch im Tiefschlaf. Putz bröckelt, Fensterstreben rosten, Holz blättert. Das ganze Ensemble strahlt dabei eine morbide Schönheit aus.
Doch heute gibt es hier auch jede Menge Leben. In einer Ecke steigt das Hoffest mit vollem Programm: spielende Kinder auf einer Hüpfburg, Würstchen vom Grill, Kaffee und Kuchen und Live-Musik. Und mittendrin auch ein Infostand. Das Hoffest ist für die Hofgemeinschaft nicht nur Freizeitspaß und Einnahmequelle, sondern auch eine gute Gelegenheit, ihre Ideen für den Hof zu präsentieren und zu erklären. Denn noch muss man viel erklären und braucht einiges an Vorstellungskraft, um die große Vision hinter Hof Prädikow zu begreifen.
Ca. 60 Berliner*innen haben genug von steigenden Immobilienpreisen und der Hektik der Stadt und möchten mit ihren Familien dauerhaft und gemeinschaftlich auf dem Hof leben und arbeiten. Viele Pläne, Konzepte und Geschäftsideen gibt es bereits: bis zu 50 Wohnungen sollen hier entstehen sowie Büros, Ateliers und Werkstätten, um dem wilden Mix aus Digitalarbeiter*innen, Handwerker*innen und Künstler*innen ein zu Hause zu schaffen.
Das Herzstück der Anlage und die Verbindung zum Dorf Prädikow soll dabei die Scheune werden. Hier sollen alle Dorf- und Hofbewohner zusammenkommen können und kochen, nähen, sich kreativ austoben und sich im Café- und Kneipenbereich oder im Dorfwohnzimmer austauschen. Ein Teil der Fläche soll ebenfalls für Seminare oder Veranstaltungen angemietet werden können, sodass Yogakurse oder Feste möglich sind. Die denkmalgeschützte Feldsteinscheune soll mit moderner Innenarchitektur wiederbelebt und so vielfach nutzbar werden.
Volles Haus beim Hoffest 2019
Dass die Gemeinschaftsscheune das priorisierte Projekt ist, ist vor allem auch ein Signal an die 256 Bewohner*innen des Altorts Prädikow. Der Hof soll mit ihnen zusammen und nicht über ihre Köpfe hinweg wiederbelebt werden. Manche Einwohner*innen schwanken noch zwischen Skepsis gegenüber dem Projekt und Hoffnung auf soziales Miteinander und neue Angebote durch die Neuankömmlinge.
Bisher sieht man jedoch auf dem Hof von alldem leider noch nichts. Denn ein Projekt und eine Vision dieser Größe sind vor allem eins: kompliziert. Wie komplex das Vorhaben ist, lässt sich erahnen, wenn man hört, dass die Idee bereits 2015 geboren wurde. 5 Jahre Planung und noch kein Ende in Sicht.
Dabei hat die Hofgemeinschaft bis hierhin schon viel geschafft. Eine Stiftung hat den Grund erworben, eine Wohnbaugenossenschaft die Gebäude. Förderungen wurden beantragt, Arbeitsgruppen gebildet, ein Verein angemeldet, die Organisation und Entscheidungswege aufgebaut. Mitstreiter*innen wurden gesucht, manche wurden wieder verloren, doch mittlerweile ist die Gemeinschaft auf 44 Erwachsene angewachsen. 6 Personen sind schon nach Prädikow umgezogen, auf dem Hof selbst wohnt jedoch noch niemand.
Gutshaus
Bodenproben wurden genommen, die Bausubstanz geprüft, ein grobes Nutzungskonzept für den ganzen Hof erstellt, alles unter Beachtung des Denkmalschutzes. Und jede Menge Veranstaltungen wurden organisiert. Dorffeste, Sommercamps, Tag der offenen Ateliers: Das Hofprojekt ist eine ehrenamtliche Mammutaufgabe. Nach all den Mühen wurden nun die ersten Bauanträge genehmigt.
Um die große Vision umsetzten zu können, braucht die Hofgemeinschaft vor allem eins: neue Mitglieder, die sich finanziell über Genossenschaftsanteile und später über Mietzahlungen am Ausbau beteiligen. Denn die Sanierung des gesamten Areals ist nur mit ordentlich Kapital zu stemmen. 30 Jahre Leerstand haben bei der Bausubstanz ihren Tribut gezollt.
Und laut den Initiator*innen des Hofprojekts muss allen neuen Mitgliedern auch eines völlig klar sein: kurzfristig können keine Flächen bezogen werden. Hof Prädikow ist und bleibt ein Marathon, auf den man sich nur mit einem starken Bedürfnis nach Gemeinschaft und einem großen Gestaltungswillen einlassen sollte. Angetrieben werden die Mitstreiter*innen von ihrer Vision eines freien und doch gemeinschaftlichen Lebens – quasi der perfekte Mix aus Individualität und Zugehörigkeit.
Bevor wir uns am Abend vom Hof verabschieden, drehen wir noch eine kleine Runde über das Areal. Besonders den Kindern macht der Platz hier sichtlich Freude, sie verteilen sich über den gesamten Innenhof und toben sich richtig aus. Es herrscht eine Stimmung zwischen Bullerbü und Saltkrokan. Die Idee vom Hof Prädikow wird erst durch die Menschen und ihren Enthusiasmus wirklich greifbar. Wir hoffen, dass die Hofgemeinschaft nach all der Arbeit ihre Vorstellungen bald verwirklicht sehen kann.
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hallo@transdigitale-eisenbahn.de.